Hallo liebe Freunde der schmalen Spur,
der 10. Dezember 1988, also genau vor 30 Jahren, war ein trüber und wenig attraktiver Tag. Dieser Tag war auch ein trüber Tag in der Geschichte des Rasenden Roland. 99 4633 nahm ihren Abschied.
1986 hatte das Raw Görlitz nochmals eine Zwischenuntersuchung L 6 an der Lok ausgeführt, legte die Kesselfrist aufgrund des schlechten Zustands aber nur bis zum 31.12.1988 fest.
Die Lok gehörte seit 1983 offiziell zum Bestand des Verkehrsmuseums Dresden und war nach offiziellen Verlautbarungen für den betriebsfähigen Erhalt vorgesehen. Allerdings sah sich die DR damals nicht imstande, den Kessel weiterhin betriebsfähig zu erhalten und ein Kesselneubau scheiterte an den fehlenden Kapazitäten, war zwar offiziell vorgesehen, aber überhaupt nicht absehbar.
Im Sommer 1988 bauten die Eisenbahner der Einsatzstelle Putbus schon mal den Kessel vom Rahmen ab und ließen ihn für die Anfertigung neuer Kesselzeichnungen vermessen. Für die letzten Einsatzmonate konnte sie dann wieder montiert und in Betrieb genommen werden.
Für die Eisenbahner und Eisenbahnfreunde hieß es Abschied nehmen. Mit einer Wiederinbetriebnahme rechnete eigentlich in absehbarer Zeit keiner mehr.
So setzte die Rbd Greifswald, gemeinsam mit dem DMV für den 10. Dezember 1988 eine nicht öffentliche Abschiedsfahrt für die Eisenbahner und einige Eisenbahnfreunde auf den Plan. Ein kurzer Sonderzug wurde als sogenannter Verwaltungssonderzug organisiert. Da wir damals in Stralsund die 03 1090 in ehrenamtlicher Arbeit pflegten, schlug das Bw Stralsund vor, dass unsere Pflegegruppe auch teilnehmen durfte. Die Lok wurde entsprechend herausgeputzt und geschmückt. Ein großes Schild vor der Rauchkammertür wies auf das Ereignis hin.
Ich habe einige Fotos mitgebracht und möchte sie Euch zeigen.
Auf dem Weg zum Zug passiert 99 4633 das historische Empfangsgebäude des Putbuser Kleinbahnhofs. Es wurde 1895 vollendet und stellt das älteste erhaltene Gebäude der Rü.K.B. dar.
Für einige mitreisende Fotofans wurden vor allem auf dem Weg nach Göhren einige Fotohalte und Scheinanfahrten eingelegt. Das Foto zeigt sehr schön, die miserablen Wetterverhältnisse bei Nistelitz. Bis in die jüngste Zeit war dies eines der beliebtesten Fotomotive. Vor einiger Zeit wurden hier als Ausgleichsmaßnahme für baubedingte Baumfällungen viele neue Bäume gepflanzt, so dass dieser Blick heute zuwächst. Auf der Rückfahrt wurde wegen der einsetzenden Dämmerung kaum noch fotografiert.
Halt in Binz. Am Gleis 2 konnte man damals noch einen der beiden alten Wasserkräne mit Elevator finden, der allerdings nicht mehr funktionsfähig war.
Unser Lokpersonal stillte seinen Hunger mit einer deftigen Schüssel Erbsensuppe und Bockwurst aus der Bahnhofsgaststätte. Einsatzstellenleiter Jochen Warsow (links) führte die Lok an diesem denkwürdigen Tag. Als Heizer war Lokführer Rolf Kirmse (rechts) dabei.
Der Zugführer hatte auch genau 30 Jahre danach Dienst. Rainer Seelhoff arbeitet noch immer bei der Kleinbahn.
Auch am Haltepunkt Jagdschloss, damals recht unscheinbar im Wald gelegen, wurde eine Scheineinfahrt eingelegt. 99 4633 wurde übrigens nicht extra für diese Fahrt mit Spitzziffernschildern ausgerüstet. Für sie gab es nur ein EDV-Schild an der Rauchkammertür. Lange Zeit wurde die Selbstkontrollziffer 6 nur hinter die Schilder direkt auf das Blech geschrieben. Nach ihrer letzten Untersuchung 1986 wurde selbst hierauf verzichtet.
Trotz des Anlasses und trotz des Wetters war das Lokpersonal frohen Mutes und gern für ein Erinnerungsbild bereit. Auch seitlich lassen sich Eisenbahner fotografieren.
Mein Abschiedsbild von meiner Lieblingslok. Von Binz bis Putbus durfte ich erstmals auf ihrem Führerstand mitfahren und genoss die letzten Stunden in vollen Zügen. Jetzt war der Lokschuppen in Putbus erreicht, inzwischen war das Feuer schon aus und der letzte Restdampf trieb noch die Lichtmaschine an. Wir vom 03.10-Pflegekollektiv waren tieftraurig bis zum Wegstellen der Lok dabei. Die meisten Eisenbahner waren schon gegangen. Wohin? Schräg gegenüber im Bahnhofshotel gab es zum Abend noch ein Festessen. Wir ließen uns auch einladen.
Alle Fotos (10.12.1988): Achim Rickelt
Wie ging es weiter?
99 4633 hatte ja noch für einige Tage gültige Kesselfristen und durfte auch noch einige Züge ziehen.
Anfang 1989 wurde es ruhig um die Lok, die zunächst erst einmal von der Ausbesserung zurückgestellt wurde.
1989 stand bei der DR ganz im Zeichen des Jubiläums 150 Jahre erste deutsche Fernbahn. Aus diesem Anlass wurde u.a. auch eine große Fahrzeugschau in Radebeul Ost gezeigt, zu der 99 4633 reiste. Durch die Abstellung schon deutlich schäbig geworden, hatte man sie in Putbus extra noch einmal neu lackiert.
Derart aufgehübscht, konnte sie im Oktober 1989 auch noch einmal in Putbus anlässlich 90 Jahre Putbus - Göhren gezeigt werden.
Um 99 4633 herum ergab der Herbst dramatische weltpolitische Änderungen. An das Schicksal dieser kleinen Lok dachte wohl zunächst keiner. Und doch ergab die neue Zeit endlich neue Chancen zur Wiederinbetriebnahme der Lokomotive. Zwar überlebte der Modellbahnverband die Wende nicht, aber im Juni 1991 gründete sich der Förderverein zur Erhaltung der Rügenschen Kleinbahnen e.V., der sich maßgeblich auch um die Erhaltung der historischen Fahrzeuge kümmerte.
Im Spätsommer 1990 wurde die Maschine nochmals teilweise demontiert, um Maß für einen Neubaukessel und neue Zylinder zu nehmen. 1991 verließ sie uns dann als Einzylinderlok mit dem Ziel Görlitz, wo die Arbeiten an der Lok begannen. Dort wurden ein neuer geschweißter Kessel, zwei neue geschweißte Stahlzylinder und neue Vorratsbehälter für die Lok hergestellt.
Ende Oktober 1992 konnte die neu aufgearbeitete Maschine erstmals wieder ihre Heimatstrecke unter die Räder nehmen. Am 9. November 1992 durfte sie endlich feierlich wieder in Betrieb genommen werden. Passend zum seit 1987 im Stil der Rü.K.B. wieder hergerichteten Traditionszug wurde sie grün, schwarz, rot im annähernden Privatbahnoutfit mit ihrer Ursprungsnummer 53 Mh hergerichtet.
Seitdem wird sie beim Rasenden Roland allerdings nicht nur vor Sonderzügen, sondern häufig auch im Planbetrieb eingesetzt. Aktuell wartet sie in Putbus auf die nächste Hauptuntersuchung, die allerdings terminlich noch nicht feststeht.
Viele Grüße
Euer Dampf - Achim Rickelt