[EF] Erfurter Straßenbahn

  • Hallo,

    heute bin ich nach Erfurt gefahren, um meine Frau und meine Tochter zur Verwandtschaft zu bringen, denn meine beiden Damen sind waschechte Erfurterinnen. Ein kleiner Spaziergang führte uns heute vom Anger zum Domplatz. Die dort verlaufende Straßenbahnstrecke Anger ↔ Schlösserstraße ↔ Fischmarkt ↔ Marktstraße ↔ Domplatz wurde am 13. Mai 1883 eröffnet. Zunächst möchte ich einen kleinen Überblick über die im planmäßigen Einsatz befindlichen Fahrzeugtypen geben. Es sind vorhanden:

    MGT6D (601-604); Zweirichter
    MGT6DE (605-616); Einrichter
    Combino Basic 5tlg. (621-627)
    Combino Advanced 5tlg. (628-656)
    Combino Advanced 3tlg. (701-712)
    Combino Classic 3tlg. (713-724)

    Über viele Jahre bildeten KT4D das Rückgrat des Betriebes. Im Jahr 2014 endete aber ihr planmäßiger Einsatz. Einige wenige Fahrzeuge sind noch für Sonderaufgaben (z.B. Stadtrundfahrten) vorhanden (512, 520, 522, 530).


    Der 5-teilige Combino Advanced 630 ist hier auf der Linie 4 zwischen Anger und Fischmarkt in der Schlösserstraße unterwegs.


    Der MGT6DE 613 biegt am Erfurter Rathaus vom Fischmarkt in die Marktstraße ein.


    Am Domplatz traf ich dann zufällig auf KT4D 512, welcher als Fahrzeug im Rahmen einer Stadtrundfahrt eingesetzt war.

    Von weiteren Besuchen der Thüringer Landeshauptstadt werde ich bestimmt erneut Bilder der meterspurigen Erfurter Straßenbahn mitbringen und sie hier im Thread präsentieren.

    Viele Grüße, René

    Einmal editiert, zuletzt von rekok73 (27. Dezember 2018 um 10:11)

  • Hallo,

    es freut mich sehr, dass dieses Thema auf Interesse stößt. Da möchte ich gleich im 2. Kapitel einen Blick in die jüngere Vergangenheit wagen. Einige Zeit waren wir im Erfurter Stadtteil Ilversgehofen, genauer im Jacobsenviertel, zu Hause. Der Stadtteil Ilversgehoven wird durch die Bahnlinie Erfurt - Nordhausen geteilt und erhielt mit dem heutigen Bahnhof Erfurt Nord der "Thüringischen Eisenbahn-Gesellschaft" im Jahr 1869 einen Eisenbahnanschluss. Im Jahr 1883 erhielt Ilversgehofen den Anschluss an die Erfurter Straßenbahn.

    In den Jahren 2007 bis Anfang 2010 machte ich einige Bilder in der Umgebung des Bahnhofs Erfurt Nord. Damals arbeitete ich als Zugbegleiter bei der Erfurter Bahn (Einsatzstelle Schweinfurt; UnterfrankenShuttle). Mit der Geburt meiner Tochter hatte ich, um bei der Familie sein zu können, einen täglichen Pendlerweg von 174 Kilometer (pro Richtung) zu absolvieren. Die A 71 mit ihrem Rennsteigtunnel kenne ich also sehr gut. Manchmal nahm ich mir auch ein Pensionszimmer in Schweinfurt, wenn die Schichtlagen so waren, dass ich an einem Tag mit dem "Wackeldackel" an- und am nächsten Tag abreisen konnte. Den "Wackeldackel" Erfurt - Schweinfurt durfte ich als Mitarbeiter der Erfurter Bahn damals kostenlos nutzen, was natürlich Spritkosten sparte. Die Teamleiterin, welche auch die Dienstpläne erstellte, hat viel Rücksicht auf meine familiären Belange genommen. Sie bleibt mir somit immer in guter Erinnerung.

    Wenn ich zu Hause in Erfurt war, dann nutzte ich manchmal die Zeit für Bilder am "Heimatbahnhof". Gelegentlich kam auch eine Dampflok vorbei, so wie hier 41 1144 in Richtung Erfurt Hbf. Meine Tochter beobachtete wohl aus dem Kinderwagen schon interessiert das Geschehen. Vielleicht war aber auch das Brötchen in der Hand wichtiger. Als Bahnfreund redet man sich einfach mal ein, dass es die Dampflok war, die ihr Interesse mehr weckte. :zwink:

    Im Januar des Jahres 2010, also wenige Wochen vor unserem Umzug nach Wernigerode, entstanden die folgenden 2 Bilder. Zunächst fährt ein Triebwagen nach Nordhausen in den Bahnhof Erfurt Nord ein. Die farbenfrohen Gebäude im Hintergrund bilden das Jacobsenviertel, welches in den Jahren 1925 und 1927 im Stil des "Neuen Bauens" errichtet wurde und in seiner Gesamtanlage unter Denkmalschutz steht.

    Am Bahnhof Erfurt Nord überquert die Straßenbahnstrecke zum Zoopark die Eisenbahn. Von 1883 bis 1893 war am Ilversgehofener Platz der Endpunkt der Straßenbahn, dann wurde sie bis zum Bahnhof verlängert. Erst im Jahr 1990 wurde der Abschnitt bis zur Grubenstraße eröffnet. Für diese Verlängerung musste für die Straßenbahn eine Spannbetonbrücke über die Eisenbahn gebaut werden. Auf der Rampe Richtung Innenstadt ist hier MGT6DE 610 unterwegs. Er war leicht an seiner Werbung für die "Gelben Seiten" erkennbar.

    Damals hatte ich keine Spiegelreflex zur Verfügung und so sind die Bilder mit einer digitalen Knipse der damaligen Zeit entstanden. Ich wünsche noch einen schönen 2. Weihnachtsfeiertag.

    Viele Grüße, René

    2 Mal editiert, zuletzt von rekok73 (27. Dezember 2018 um 10:15) aus folgendem Grund: Kleinere Rechtschreibfehler erkannt und beseitigt

  • René,

    ich habe Dir lange nicht mehr geantwortet, aber der Thread gefällt mir total gut, da ich gerade letzte Woche dachte: Mensch, eigentlich sind schöne Straßenbahnen doch auch wirklich attraktiv. Das letzte Bild finde ich besonders toll!!!

    Viele Grüße,

    Lenni

  • Hallo Lenni,

    danke für Deine netten Worte. Die Straßenbahn in Erfurt steht im Zusammenhang mit der frühesten Kindheit meiner Tochter. Waren wir mit ihr spazieren, wurde sie natürlich auch manchmal unruhig. Bei manchen Kindern hilft es da, den Kinderwagen sanft zu schaukeln. Kann man machen, hilft aber nicht immer. Bei unserer Tochter half folgendes Geheimrezept: An der nächsten Haltestelle in die Straßenbahn einsteigen. Es dauerte meist nicht die Fahrt zwischen zwei Haltestellen und die Kleine schlief völlig zufrieden. Was hätten wir nur in einem Ort ohne Straßenbahn gemacht? :zwink: So haben wir als Eltern natürlich gute Erinnerungen an die Straßenbahn. Allerdings muss ich zugeben, dass damals ein im Einsatz stehender KT4D bei Ausflügen mit dem Kinderwagen keine wirkliche Freude war. Man freute sich, wenn ein Niederflurfahrzeug in Sicht kam. Übrigens bin auch ich als Kind / Jugendlicher gerne Straßenbahn gefahren. In Leipzig wohnhaft, war bei einem Besuch der Verwandtschaft in Dessau eine Fahrt mit der dortigen Straßenbahn in den Gotha- und Rekowagen für mich ein sehr schönes Erlebnis. Deshalb fahre ich in der Gegenwart so gerne nach Naumburg, um dort u.a. mit der Straßenbahn zu fahren. Davon berichte ich hier im Forum ja regelmäßig. Meine Tochter ist dort ebenfalls immer begeistert... und auch in Erfurt fährt sie noch immer gerne mit der Straßenbahn. Insofern werde ich diesen Thread bestimmt noch mit manch Erlebnis füllen können.

    Beste Grüße, René

  • Hallo,

    am 18. Januar 2009 entstand diese Aufnahme am Bahnhof Erfurt Nord und natürlich habe ich auch die passende Geschichte dazu. Bei den Fototouren zum Bahnhof war mir ein schmalspuriges Gleis im Bereich des ehemaligen Güterschuppens aufgefallen, welcher zu diesem Zeitpunkt schon abgetragen war. Was hatte dieses Gleis für eine Bedeutung? Nach ein paar Nachforschungen kam ich auf des Rätsels Lösung.

    Im Jahr 1982 wurde der Güterverkehr auf der Erfurter Straßenbahn aus der Not heraus geboren, unbedingt Kraftstoff einsparen zu müssen. Zunächst wurden Schreibmaschinen von der Optima in der Rudolfstraße zum Nordbahnhof gefahren. Später kam noch Bier aus der Brauerei in der Schillerstraße zum Einkaufszentrum Rieth dazu.

    Für die Schreibmaschinentransporte hatte man in der Schleife Günterstraße links vom Gleis eine hölzerne Laderampe gebaut, zu der die Transportkisten mit Gabelstaplern über die Straße gebracht und dann per Hand verladen wurden. Am Nordbahnhof hatte man ein Anschlussgleis an den Güterschuppen gebaut. Dort wurden die Schreibmaschinen dann zwischengelagert.

    Die Biertransporte waren noch anspruchsvoller: Da mangels Anschlussgleis auf der Schillerstraße beladen werden musste, konnte das nur in der Betriebsruhe nachts erfolgen. Entladen wurde dann allerdings erst vormittags im Rieth, dort war aus der Anfangszeit der Endstelle noch ein Teil des Wendedreiecks vorhanden. Auf diesen Gleisstummel passten 2 Wagen und so wurde dort entladen und mit Gabelstaplern das Bier zum Kaufhallenlager gebracht.

    Für die Gütertransporte wurden 2 Beiwagen entsprechend baulich angepasst. Es waren dann die Wagen 16 und 17 vorhanden. Mit Wagen 17 wurden dann auch die ersten Güter transportiert. Um die Transportkapazität weiter erhöhen zu können, wurde dann auch der bereits seit 1981 zustandsbedingt abgestellte Gelenkwagen 185 verwendet, welcher nach dem Umbau die Arbeitswagennummer 21 erhielt.

    So schnell der Güterverkehr eingeführt wurde, so sang- und klanglos verschwand er wegen des personellen Aufwands im Jahre 1984 wieder, obwohl er auch danach immer mal wieder in Konzeptionen zur Kraftstoffsubstitution auftauchte. Für den Bau eines Anschlussgleises in der Rudolfstraße zur Laderampe in der Optima gab es immerhin bereits Bauunterlagen.

    Allerdings entzündeten sich an der Frage, wer für die Kosten und Bilanzen aufzukommen habe, die Gemüter der beteiligten Partner. Das muss nicht verwundern, reichten doch Mittel und Kapazitäten schon für den planmäßigen Unterhalt des Gleisnetzes nicht aus. Ebenso ungeklärt blieb die Frage, wer das Fahrpersonal zu stellen hatte, denn zu der Zeit fielen fast täglich wegen Fahrermangel Bahnen im Linienverkehr aus.

    Übrigens: Kurz nachdem die Aufnahme vom ehemaligen Anschlussgleis am Güterschuppen entstanden war, begannen umfangreiche Bauarbeiten zur Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes. Somit ist auch dieser kärgliche Rest der Erinnerung an den Güterverkehr auf den Schienen der Erfurter Straßenbahn mittlerweile Geschichte.

    Viele Grüße, René

    P.S.: Der B-Teil des ehemaligen Arbeitswagens 21 ist auch im heutigen Arbeitswagen 21 (in Zweitbesetzung) vorhanden. Der heutige Fahrleitungswagen 21 wurde aus dem A- und M-Teil des Gotha-Tw 201 und dem B-Teil des Gotha-Tw 185 (später Arbeitswagen 21 in Erstbesetzung) gebildet. Der heutige Arbeitswagen 21 ist derzeit abgestellt.

    Einmal editiert, zuletzt von rekok73 (27. Dezember 2018 um 11:45) aus folgendem Grund: Postskriptum eingefügt

  • Hallo Lenni,

    ich kenne auch nur das eine Bild vom Arbeitswagen 21 mit Beiwagen 16 in der Erfurter Johannesstraße. Interessant ist die marode bauliche Umgebung. ich kenne die Johannesstraße in heutiger Zeit sehr gut, befand sich dort doch die Arbeitsstelle meiner Frau. Außerdem führt dort die Straßenbahnlinie vom Erfurter Norden in das Zentrum entlang.

    Liebe Grüße, René

  • Hallo,

    was heute vielleicht allgemeines Kopfschütteln hervorrufen mag, war auf die immer striktere Kontingentierung von Dieselkraftstoffen an die Betriebe zurückzuführen bzw. die Betriebe hatten regelmäßig über Maßnahmen zur Senkung des Kraftstoffverbrauches Rechenschaft zu liefern. Das führte dann dazu, daß die Druckguß u. Kolbenwerke in Harzgerode ihre Aluminiumbarren nicht mit dem LKW direkt in Gernrode abholen konnten, u. hier jetzt in Erfurt die Optima ihre Büromaschinen nur noch über die Straße zur nächsten Verlademöglichkeit zur Straßenbahn fahren könnte.
    Zur Dieseleinsparung wäre dafür eigentlich noch ein Pferdefuhrwerk konsequent gewesen. In den achtziger Jahren spürten wohl die meisten, daß es so nicht mehr lange weitergehen kann.
    Für den Freund des Schienenverkehrs war diese Zeit allerdings sehr interessant, wurden doch selbst an kurz zuvor noch stillegungsbedrohten Nebenstrecken neue Anschlußgleise gebaut.
    In Städten mit Straßenbahnen wurden Neubaustrecken in neue Wohngebiete errichtet, um Busverkehr einzusparen, u. der Aufbau von O-Bus Netzen für mehrere Städte wurde vorbereitet, u. zum Teil noch begonnen (Suhl).

    Beste Grüße

    Holger

  • Hallo,

    erst einmal vielen Dank für die Beteiligung an diesem Thema.

    @Micha: Danke für den Link. Diese Bildervorschau habe ich mir vor einiger Zeit auch schon einmal angesehen. Sie war mir aber in Vergessenheit geraten. Die Bilder sind interessant und deshalb habe ich mir das Buch nun beim Verlag bestellt. Gut ist auch, dass es nicht nur für mich interessant ist, sondern auch für meine Frau, die als Erfurterin natürlich mit der Straßenbahn groß geworden ist.

    Holger: Danke auch an Dich für Deine anschauliche Schilderung der Auswirkungen der damaligen Ölkrise auf die Wirtschaft der DDR.

    Meine beiden Damen weilen gerade in der thüringer Landeshauptstadt und waren heute im Zoopark. Tiere wurden fotografiert und dann kam meine Kleine auf die richtige Idee, für ihren Papa auch ein Bild von der Straßenbahn zu machen. Die Große schickte es dann am Abend per E-Mail, damit der Große (also ich) es im Forum zeigen kann. Mehr familiärer Teamwork ist kaum möglich. So sehen wir hier, wie der MGT6D 603 an der Haltestelle Zoopark auf Fahrgäste wartet, um dann als Linie 5 zum Hauptbahnhof zu fahren. Im Hintergrund ist die Erhebung des Roten Berges zu sehen, wo sich der Zoopark befindet.

    Am Rande des Zooparkes verkehrte übrigens von 1969 bis mindestens 1994 (genaue Jahreszahl der Betriebseinstellung ist mir nicht bekannt) eine Feldbahn zwischen der damaligen Ziegelei in der Flur Gispersleben und der Tongrube am Roten Berg in der Spurweite von 600 mm. Zuletzt waren dort Lokomotiven der Bauart Ns 3 im Einsatz. Noch im Jahr 2009 konnte man deren ehemalige Trasse gut erkennen und einige Schwellen und Gleisreste entdecken.

    Viele Grüße und ein schönes Wochenende,

    René

    Einmal editiert, zuletzt von rekok73 (2. Januar 2019 um 11:34)